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Interview

Das Kind spricht nicht mit mir! Tipps bei Verdacht auf selektiven Mutismus – Teil 2

Das Verhalten selektiv mutistischer Kinder kann anderen Kindern, aber auch pädagogischen Fach- und Lehrkräften rätselhaft erscheinen. Gemeinsam mit der Sonderpädagogin Katja Subellok wollen wir zur Aufklärung beitragen und ein paar Tipps zum Umgang mit dieser Kommunikationsstörung geben.

Sonderpädagogin und Mutismusexpertin Katja Subellok
Die Sonderpädagogin Katja Subellok.

Menschen, die mit Kindern arbeiten, wissen: Der Einzelfall kann selten verallgemeinert werden. Umgekehrt treffen die folgenden Beobachtungen und Tipps natürlich nicht auf jeden Einzelfall zu, sie sollen eine Annäherung sein. Denn obwohl es nicht Aufgabe der Pädagoginnen und Pädagogen sein kann, "echte" psychologische Symptome fachgerecht zu erkennen und zu behandeln (darüber spricht auch Psychologin Paula Döge im Interview), müssen sie dennoch darauf reagieren.

Die Expertin

Katja Subellok leitet seit 2008 das sprachtherapeutische Ambulatorium der Technischen Universität Dortmund. Einer ihrer Schwerpunkte ist der selektive Mutismus.

Wie kann ich selektiven Mutismus erkennen? Teil 1 unserer Tipps.

Das Kind nickt lediglich oder schüttelt den Kopf. Sollte ich meine Fragen entsprechend anpassen?

Wenn das Kind sich so nonverbal äußert, helfen geschlossene Fragen durchaus. Eine gute Möglichkeit, um herauszufinden, was das Kind möchte, sind Entscheidungsfragen: Möchtest du das oder möchtest du lieber das? Dabei ist es sinnvoll, mehrere Alternativen anzubieten. Nutzen Sie gern auch andere Kommunikationsformen, zum Beispiel ein Ankreuzsystem mit verschiedenen Smileys, um herauszufinden, wie sich das Kind fühlt – manche Kinder kreuzen lieber etwas an als den Kopf zu schütteln oder zu nicken. Für typische Alltagssituationen können Sie auch Bildkarten nutzen, zum Beispiel: "Toilette", "Ich habe Durst", "Ich habe Hunger". Die Karten können Sie auch bei den anderen Kindern einsetzen, sodass das Kind nicht zum Sonderling wird: Wenn ein Kind der Gruppe auf die Toilette muss, zeigt es einfach die Symbolkarte.

Sollte ich so tun als würden wir miteinander sprechen?

Ich sollte dem Kind vor allem stets signalisieren: Ich weiß, dass du sprechen kannst. Vorausgesetzt natürlich, dass ich mir dessen sicher bin. Ich kann also auch mit dem Kind reden, als gäbe es mir Antworten, zum Beispiel indem ich etwas kommentiere, das es tut oder das wir gemeinsam tun. Dabei sollte ich dem Kind nichts in den Mund legen, doch ich darf Vermutungen äußern: "Ich glaube, du möchtest jetzt gerne malen. Stimmt das?" Wenn das Kind dann den Kopf schütteln sollte: "Ups! Da hab ich mich dann wohl vertan! Dann muss ich wohl weiter überlegen." Das Wichtigste überhaupt ist, irgendwie erfolgreich mit dem Kind zu kommunizieren – wenn auch nicht sprachlich.

Das Kind spricht mit anderen Kindern, aber nicht mit den pädagogischen Fachkräften. Darf ich ein Kind zum "Übersetzer" machen?

Natürlich! Das kann ich individuell mit den Kindern verhandeln. Ich kann vorschlagen, dass das selektiv mutistische Kind einem vertrauten Kind seine Wünsche, Fragen oder Bedürfnisse ins Ohr sagt und der "Übersetzer" oder die "Übersetzerin" mir diese dann mitteilt. Beide Kinder müssen natürlich Lust darauf haben. Außerdem sollte ich darauf achten, dass das helfende Kind nicht zu übereifrig wird und gewissermaßen eine "Vormundschaft" für das mutistische Kind übernimmt. Im Prinzip kann diese Methode das schweigende Kind aber vorübergehend sehr entlasten.

Ein Junge sitzt am Tisch und bastelt etwas
© Stiftung Kinder forschen

Das Kind spricht offen und viel mit Gleichaltrigen, verstummt aber, wenn ich dazu stoße. Habe ich etwas falsch gemacht?

Nehmen Sie das Schweigen niemals persönlich, dann haben Sie schon verloren! Es hat nichts mit Ihnen zu tun, das Verhalten des Kindes folgt einem ganz anderen Prinzip. Ich kann mich an eine Erzieherin erinnern, nennen wir sie Frau Schmidt, die wollte, dass der kleine Manuel an seinem letzten Kita-Tag "Tschüß, Frau Schmidt" sagt. Das hat er nicht getan – und in der Grundschule hat er dann gesprochen. Und trotzdem hat das nichts mit seiner Erzieherin zu tun. Manuel hatte sein Schweigen sozusagen in der Kita "deponiert". Hier hatte sich sein Verhalten erst manifestiert und die Kita blieb von da an der Ort seines Schweigens. Schon allein weil Manuel nicht abschätzen konnte, wie die Erzieher reagiert hätten, wenn er auf einmal gesprochen hätte. Beim Übergang in die Schule konnte er sprechen, weil er dort niemanden kannte und keiner ihn – ein neuer Anfang. Ein Orts- oder Milieuwechsel kann bei selektivem Mutismus helfen.

Das Kind flüchtet vor Unterhaltungen und versteckt sich. Wie gehe ich damit um?

Wenn ich merke, dass es sich unwohl fühlt oder flüchtet, kann ich ihm einen eigenen Platz in der Kita einrichten. Ich kann dem Kind sagen: "Dieser Platz ist nur für dich und ich sorge dafür, dass du hier allein bist und dir keiner etwas tut. Du kannst dich auf mich verlassen." Der Ort kann etwas Symbolisches sein, zum Beispiel ein geschmückter Stuhl oder ein großes Tuch, auf das sich das Kind setzen kann. Diese Regel sollte ich mit den anderen Kindern absprechen – wenn möglich, richte ich auch für sie einen oder mehrere "sicherere Plätze" ein. Bei einem mutistischen Kind geht es nicht darum, zu beruhigen, sondern sein Verhalten zu verstehen und darauf einzugehen. Wenn das Kind flüchtet, fühlt es sich unsicher und überfordert. Es flüchtet in Sicherheit und versteckt sich. Sagen Sie niemals: "Du brauchst doch keine Angst haben! Hier tut dir niemand was!" Das wäre eine Verleugnung seiner Angst. Das Kind will in seiner Angst wahrgenommen und gesehen, also verstanden werden.

Wie erkläre ich den anderen Kindern aus der Gruppe, dass das Kind nicht spricht?

Wenn die anderen Kinder fragen, würde ich das transparent machen und dabei betonen, dass das Kind schon sprechen kann. Etwa: "Manuel spricht zu Hause mit seinen Eltern und Geschwistern ganz normal. Mit uns spricht er noch nicht, aber das wird er bestimmt bald tun." Ob Sie das im Beisein des selektiv mutistischen Kindes tun, würde ich vom eigenen Gefühl für das Kind und die Gruppe abhängig machen.

HILFE:

Sollte das mutistische Kind keine positive Entwicklung zeigen oder sich das Schweigen sogar verfestigen, finden Sie bzw. die Eltern des Kindes bei diesen Adressen professionelle Hilfe: