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Interview: Wie sich sprachliche Bildung und Forschen ergänzen

Wer fragt, der forscht. Wer forscht, der fragt!

Die Logopädin Veronika Meiwald und Dr. Stephan Gühmann, Fachleiter MINT bei der Stiftung Kinder forschen haben gemeinsam einen Vortrag und einen Workshop zum Thema Forschen und Sprache konzipiert. Es geht ihnen darum, Pädagoginnen und Pädagogen dafür zu sensibilisieren, dass es beim gemeinsamen Forschen und Entdecken vor allem auf die richtige Haltung ankommt.

Veronika Meiwald und Dr. Stephan Gühmann
© Markus Kratz/Stiftung Kinder forschen (links), Stephan Höck/Stiftung Kinder forschen (rechts)
Veronika Meiwald und Dr. Stephan Gühmann

Sehr geehrte Frau Meiwald, sehr geehrter Herr Dr. Gühmann, wenn Sie von einer pädagogischen Haltung sprechen, was meinen Sie damit?

Stephan Gühmann: "Wir meinen damit die Rolle, die die pädagogische Fach- oder Lehrkraft einem Kind gegenüber einnimmt. Das Wort ‚Lernbegleiter‘ bringt es ganz gut auf den Punkt: Ein guter Pädagoge ist unserer Meinung nach ein Unterstützer, ein Helfer – ein Begleiter eben. Oder bildlich gesprochen: Sie unterstützen das Kind dabei, die nächste Wissensstufe zu erreichen – aber sie heben es nicht selbst dort hinauf."

Sie sagen, es liegt auf der Hand, dass sprachliche und MINT-Bildung unmittelbar miteinander zu tun haben. Können Sie das erläutern?

S. G.: "Es ist nicht wissenschaftlich belegt, ob Kinder sprachlich besser sind, wenn sie auch viel geforscht haben. Das wird gerade in der Studie EASI Science-L (Early Steps Into Science and Literacy) untersucht. Aber wir glauben, dass sprachliche Förderung und das Forschen Hand in Hand gehen. Damit kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wenn ich eine bestimmte Haltung dem Forschen gegenüber einnehme, kann ich gleichzeitig Sprachförderung betreiben und das Kind optimal beim Forschen begleiten."

Veronika Meiwald: "Es geht im Grunde um die Art der Kommunikation. Egal, ob ich Sprachtherapie oder Sprachförderung betreibe, ich suche immer ein Thema, über das ich mich mit den Kindern unterhalten kann. Ich brauche einen Zugang zu ihnen. Das Forschen bietet mir eine gute Möglichkeit. Denn oft passieren überraschende und spannende Dinge, die die Kinder faszinieren. So entsteht ganz natürlich das Bedürfnis, darüber zu sprechen und sich mitzuteilen."

Forschen und Experimentieren – da denken viele zunächst einmal an Formeln, Chemie, Labortische. Wie sieht das gemeinsame Forschen und Entdecken aus, wie Sie es sich vorstellen?

S. G.: "Stellen Sie sich Kita-Kinder vor. Sie entdecken jeden Tag neue Dinge in der Welt. Sie wollen bauen und matschen und die Dinge untersuchen. Das Kind, das in der Badewanne Wasser hin- und her gießt, Babys, die die Schwerkraft entdecken und alles herunterfallen lassen, Mädchen und Jungen, die Türme bauen, Rad fahren, etwas schwimmen lassen. Naturwissenschaften, Technik und Mathematik – die finden sich überall im Alltag wieder."

V. M.: "Forschen hat da nichts mit Formeln zu tun. Wenn sie mit einem Dreijährigen sprechen, und er benutzt eine falsche Grammatik, erklären sie ihm ja auch nicht die Regel aus dem Duden. Aber sie korrigieren durch Wiederholung – oder eben Erleben. So sollte es auch in den Naturwissenschaften sein. Forschen fängt im Kleinen an und ist überall erlebbar."

S. G.: "Naturwissenschaftliche Bildung unterliegt ähnlichen Bedürfnissen und Bedingungen wie sprachliche, musische oder auch motorische. Nur leider haben wir es verlernt, diese Themen von den Formeln loszukoppeln. Ein Beispiel: Ein Kind wollte von seiner Erzieherin wissen, wo der Regen herkommt. Sie hat dann ausgeholt und versucht, den Wasserkreislauf kindgerecht zu erklären."

Aber die Erzieherin hätte nicht so viel erklären müssen?

S. G.: "Nicht wirklich, nein. Einige Tage später hat das Kind dann erzählt, dass es regnet, weil die Blumen Durst haben. Es ist toll, was das Kind daraus gemacht hat. Aber die Frage des Kindes hatte vielleicht einen ganz anderen Hintergrund. Daher ist es so wichtig, genau zuzuhören, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen."

V. M.: "Das ist eine spezielle Krux der Naturwissenschaften. Sobald es um Biologie, Chemie oder Physik geht, denkt man, man müsse den Kindern die Grundformeln der Welt erklären. Das ist viel zu komplex. Das macht ja auch keiner, wenn es um sprachliche Bildung geht. Wenn ein Kind sagt, ‚Die hat mich gehaut‘, erklärt man dem Kind ja auch nicht erst einmal die grammatikalischen Grundregeln, warum es in diesem Falle ‚gehauen‘ heißt; Das Grundprinzip „Inhalt vor Form“ verdeutlicht, dass einem in erster Linie der Inhalt der Aussage wichtiger ist als die Korrektur der formal falschen Grammatik. Man wird das Kind also trösten und nebenbei korrektiv wiederholen: ‚Sie hat dich gehauen? Was ist denn passiert? Wo tut es weh?‘"

S. G.:  "Das sollte auch für naturwissenschaftliche Bildung gelten. Es erscheint uns sehr wichtig, den Inhalt der Bilder herauszubekommen, die die Kinder im Kopf haben und mit diesen Bildern gemeinsam weiterzudenken, egal, ob sie bereits der formal richtigen physikalischen Wirklichkeit entsprechen oder nicht! Im Regenbeispiel hatte das Kind etwas ganz anderes im Kopf als die begleitende Erzieherin; der Versuch, den Wasserkreislauf kindgerecht zu erklären, hat nicht weitergeholfen."

Was macht einen guten Lernbegleiter aus? Haben Sie Beispiele?

V. M.: "Die Grundprinzipen der Sprachförderung und der naturwissenschaftlichen Bildung sind dieselben: es geht um Interaktion, Freude, Aufmerksamkeit. Gute Lernbegleiter sind gute Zuhörer, sie halten sich zurück und lenken gezielt mit ihren offenen Fragen oder geben gezielte, aktive Aufforderungen. Anstatt zu fragen ‚Warum ist das so?‘, fragen sie: ‚Was denkst du, warum das so ist?‘ Oder sie regen gezielt zu einer Aktion an: ‚Was passiert, wenn du die Flasche umdrehst? Was beobachtest du? Was passiert da?‘ Und schon gibt es ganz viele Anlässe, zu sprechen."

S. G.: "Ein guter Ansatz ist, nicht gleich anzufangen zu erklären, sondern zu fragen: ‚Was meinst du denn? Was weißt du bereits darüber? Und hast du vielleicht schon eine Idee, wie wir das rauskriegen können?‘ Dann kann das Kind berichten, kann auf gerade Gesehenes, Erlebtes oder seine eigenen Ideen zurückgreifen. So fühlt es sich angesprochen und dadurch in seinen Fähigkeiten bestärkt. Kurz: Es erfährt, dass seine Ideen wertvoll sind."

Und Ihr Fazit?

S. G.: "Gute Pädagoginnen und Pädagogen haben ein gewisses Repertoire, auf das sie zurückgreifen können und zwar ganz unabhängig vom gerade aktiven gelebten Bildungsbereich: Spiele, Lieder; sie basteln, sie turnen, sie lesen vor, ... es gibt viele tolle Ideen, was sie gemeinsam mit den Kindern machen können. Und jeder hat Bereiche, die ihm oder ihr mehr liegen. Manche machen gerne Sport, spielen Fußball oder klettern, andere bauen gerne, wieder andere kümmern sich gemeinsam mit den Kindern um den Garten. Der eine spielt Gitarre, der andere singt lieber. Das Forschen bietet eine weitere Möglichkeit, gemeinsam mit den Kindern neue Erfahrungen über die Welt zu machen und dabei zwanglos etwas zu lernen  Das ist eines der wichtigen Ziele unseres Vortrags: Wir wollen aufzeigen, dass man mit der gleichen pädagogischen Grundhaltung Kinder im Alltag sowohl in der sprachlichen Entwicklung gut fördern als auch beim Forschen gut begleiten kann!"

Fachforum "Sprache und Naturwissenschaften"

"Sprache und forschendes Lernen gehören zusammen" - so eine Erkenntnis des Fachforums "Sprache und Naturwissenschaften", zu dem sich Expertinnen und Experten aus Praxis, Ausbildung und Forschung im März 2015 austauschten. Ihre Ergebnisse fassten sie in der im Februar 2016 veröffentlichten "Frankfurter Erklärung zur frühen sprachlichen und naturwissenschaftlichen Bildung" zusammen, die Sie hier nachlesen können.