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Interview

Darum fragt eine Elternbegleiterin "Wie geht es dir?" und nicht "Wo kommst du her?"

Im Projekt "Elternchance" werden pädagogische Fachkräfte zu Elternbegleiterinnen und Elternbegleitern weitergebildet. Was es bedeutet, als Fachkraft auch Eltern zu stärken und weshalb vom Programm qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen es auch mit zugewanderten Eltern leichter habe, erklären Koordinatorin Gisela Tesch und Dozentin Ulrike Stephan.

Zwei Frauen werkeln an einem Luftballon.
© Stiftung Kinder forschen
Wer Eltern begleiten will, muss mit der eigenen Haltung anfangen

Wie werde ich Elternbegleiterin oder Elternbegleiter?

Gisela Tesch: "Wenn ich eine frühpädagogische Fachkraft in einer familienbezogenen Einrichtung bin, zum Beispiel einer Kita oder einem Familienzentrum, kann ich mich bei einem der sechs Qualifizierungsträger bewerben. Die eigentliche Fortbildung besteht aus drei Blöcken, zweimal vier, einmal fünf Tage. Dazwischen gibt es noch zwei Reflexionstreffen. Der Abschluss der Qualifizierung ist ein Zertifikat, das im letzten Block vergeben wird. Dort stellen sich die Teilnehmenden auch gegenseitig die Praxisprojekte vor, die sie während der Fortbildung erarbeitet und in der eigenen Einrichtung entwickelt haben. Diese Praxisprojekte müssen zudem in einer Projektarbeit eingereicht werden. Bis auf eine Bearbeitungsgebühr ist die Qualifizierung kostenfrei, gefördert vom Bundesfamilienministerium und dem Europäischen Sozialfonds."

Was kann ich, wenn ich das Zertifikat habe?

G. T.: "Als Fachkraft fühle ich mich sicherer in der Zusammenarbeit mit Eltern. Ich bin motiviert. Ich habe viele andere Fachkräfte kennengelernt und ein Netzwerk aufgebaut. Ich habe Handlungskompetenzen in Gesprächsführung und Kommunikation erfahren, Methoden wie ich Eltern ansprechen und einladen kann, wie ich sie erreichen kann. Ich habe meine dialogische Haltung noch einmal aufgefrischt.“

Ulrike Stephan: "Obwohl wir auch Wissen vermitteln, steht das nicht im Mittelpunkt. Im besten Fall gelingt es uns, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, in der wir unsere Erfahrungen teilen und wir alle voneinander und miteinander lernen. Wir Dozentinnen und Dozenten begleiten die Teilnehmenden auf ihrem Weg zu ihrem Zertifikat, auf dem sie wiederum herausfinden, wie sie die Eltern in ihrer Einrichtung begleiten können. Wenn es den Teilnehmenden gelingt, ihr Verhalten, ihre Einstellungen und Wertvorstellungen zu reflektieren, kehren sie in ihre Einrichtungen zurück und sehen diese durch eine andere Brille. Dann sind sie bereit, den Blick zu erweitern, sich zu öffnen und anders auf Eltern zuzugehen und Neues auszuprobieren. Während der Fortbildung haben sie auch gelernt: Sie müssen nicht alles wissen, sie müssen schon gar nicht alles besser wissen. Das ist auch eine Entlastung. Oft reicht es, Eltern ein Angebot zu machen, sie einzuladen und mehr Fragen zu stellen als Antworten zu geben."

Was lerne ich darüber, Eltern mit Fluchterfahrung zu begleiten?

Ein Foto von Ulrike Stephan (links) und Gisela Tesch.
© Stiftung Kinder forschen
Ulrike Stephan (links) und Gisela Tesch

U. S.: "Der Ansatz ist, erstmal nur die Menschen zu sehen. Oft machen wir eine Übung am Anfang, in der wir fragen: Wo kommen eure Großeltern her? Und da gibt es keinen Kurs, in dem nur eine Teilnehmerin eine irgendwie geartete Migrationsgeschichte hat. Wir machen sehr viele Übungen zu Diversity, dem Anti-Bias-Ansatz und vorurteilsbewusster Bildung. Das bedeutet auch ganz viel Selbsterfahrung. Es geht darum, in den Spiegel zu schauen: Was haben wir für Vorurteile und warum sind sie wichtig? Es geht nicht darum, sie zu negieren oder nicht haben zu dürfen, sondern sie bewusst zu machen. Dann zu fragen: Was hat das mit mir zu tun? Was ist Diskriminierung? Was ist Klischee? Was haben wir in unserer Einrichtung für eine Willkommenskultur? Je mehr ich mich damit auseinandergesetzt habe und je mehr das ein Thema in unserem Team ist, desto mehr setze ich den Fokus darauf: Es ist egal, wo Eltern herkommen und wie sie aussehen. Sondern es geht bei allen Eltern um 'Wie geht es dir?' und nicht um 'Wo kommst du her?'."

Haben Sie ein Beispiel, das diese Haltung verdeutlicht?

U. S.: "Nehmen wir eine Mutter, die morgens regelmäßig zu spät kommt und es nicht schafft, das Kind pünktlich in die Kita zu bringen. Für mich als Erzieherin ist es aber wichtig, dass das Kind pünktlich im Morgenkreis sitzt, und ich versuche der Mutter klarzumachen, dass das auch für ihr Kind wichtig ist. Dann bin ich als Erzieherin auf dieser Schiene, wo ich denke: Diese Mutter, wieso schafft die das nicht? Und ich bin in meinem Frust so gefangen, dass ich eher dazu neige, zu denken oder sogar vorwurfsvoll zu sagen: 'Sie sind schon wieder zu spät!'"

Eigentlich für alle Beteiligten unangenehm.

U. S.: "Das Beste, was im Kurs passieren kann, ist, dass mir das bewusst wird und ich denke: Was ist da eigentlich los? Dann wäre die Frage: Wie gelingt es mir, mit der Mutter so in Kontakt zu treten, dass eine so unangenehme Situation für alle Beteiligten vermieden werden kann? Und die Antwort wäre, das Gespräch mit der Mutter zu suchen, um sie zu fragen: 'Wie geht es Ihnen eigentlich?' Dann erfährt die Erzieherin vielleicht, dass sich das Elternpaar getrennt hat und die Mutter jetzt alleine morgens den Stress hat. Wenn so ein Vertrauensverhältnis entsteht, kann das zur Entspannung beitragen. So gelingt es vielleicht auch eher, dass die Mutter öfter pünktlich kommt, weil sie nicht mehr befürchten muss, sowieso nur belehrt zu werden, sondern im besten Fall sogar auf Verständnis zu stoßen."

Wenn ich mich als Fachkraft für das Thema interessiere, aber aus bestimmten Gründen gerade nicht an einer Qualifizierung teilnehmen kann, was wäre ein kleiner Schritt, den ich tun kann?

G. T.: "Kommen Sie doch zu einem unserer Fachtage! Jeder der sechs Trägerverbände veranstaltet zwei kostenfreie Fachtage im Jahr. Das sind Informationsveranstaltungen vom Programm 'Elternchance', die jeweils auch ein Fachthema haben. Die Themen sind unterschiedlich: Geschlechtersensible Pädagogik, Zusammenarbeit mit geflüchteten Familien, Tür- und Angelgespräche, um nur einige zu nennen. Vormittags gibt es einen Themeninput, nachmittags Workshops und dazu besteht die Möglichkeit, sich kennenzulernen und zu vernetzen."