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Interview

Geflüchtete Kinder in der Kita: Erste Schritte und wichtige Ratschläge

Wie können pädagogische Fach- und Lehrkräfte geflüchteten Kindern den Start in die Kita erleichtern? Die Diplom-Psychologin und Expertin für frühkindliche Bildung Paula Döge gibt Haltungs- und Praxistipps. Ihr wichtigster: Sonderwege vermeiden.

Eine Erzieherin liest mit mehreren Kindern ein Buch
© Stiftung Kinder forschen/Thomas Ernst
"Die Fachkräfte sollten sich selbst innerlich keine Hürden aufbauen."

Die Integration von Flüchtlingskindern in Kita, Hort und Grundschule ist ein Thema, das viele pädagogische Fach- und Lehrkräfte bewegt und vor Herausforderungen stellt. Wie können sie sich mental auf diese Herausforderung einstellen?

Paula Döge: "Vor allem sollten sie sich selbst innerlich keine Hürden aufbauen. Es ist wichtig, ganz offen an die neue Situation heranzugehen. Für jedes Kind ist es wichtig erst einmal anzukommen und sich einzugewöhnen. Es gibt da kein einheitliches Schema, jedes Kind ist individuell. Daher schaue ich erst einmal: Was bringt das Kind mit, was kann es schon ganz gut? Welche Probleme hat es, was fällt ihm schwer? Ganz wichtig ist eine Grundoffenheit gegenüber den Kindern. Die Fach-und Lehrkräfte sollten Sonderwege vermeiden, wo es geht. Damit meine ich: Sie sollten sich so verhalten wie bei jedem anderen Kind auch. Der nächste Schritt ist dann, das Kind in die Abläufe und Rituale der Kita oder Klasse einzuweihen und so in die Gruppe zu integrieren."

Gibt es etwas, das Fachkräfte schon bei der Begrüßung des Kindes beachten können?

Die Kinder finden selbst Wege, sich auszutauschen.

P. D.: "Das einfachste, was man tun kann, ist zunächst einmal den Namen richtig auszusprechen. Da ist es ratsam sich vorher zu informieren, damit sich das Kind direkt angesprochen fühlt. An die Abläufe gewöhnen sich Kinder dann sehr schnell, schon durch ihre Offenheit."

Was ist die größte Aufgabe für die Pädagoginnen und Pädagogen?

P. D.: "Vielleicht ist die größte Aufgabe sogar, sich nicht zu übernehmen. Die pädagogischen Fachkräfte sollen sich nicht für etwas verantwortlich fühlen, was sie nicht leisten können, zum Beispiel für die Traumabewältigung. Wenn irgendwie möglich, sollte dafür ein Experte, etwa eine Psychologin oder ein Psychologe, hinzugezogen werden. Eine Aufgabe, die die Fachkraft dagegen annehmen muss, ist sicherzustellen, dass sich das neue Kind in der Gruppe wohl fühlt und die Einrichtung als sicheren Ort erlebt. Erzieherinnen und Erzieher haben ein gutes Gefühl dafür, in welchen Situationen das Kind fremdelt und was ihm gut tut. Sie sollten dem Kind dabei helfen, sich einzuleben und müssen dabei ihrer eigenen Wahrnehmung vertrauen."

Das heißt, sie müssen auch Vertrauen zum Kind aufbauen. Wie kann das am besten gelingen?

Das eigene Handeln sprachlich begleiten und Handlungen kommentieren

P. D.: "Das schaffe ich durch kleine Anknüpfungspunkte, indem ich dem Kind zeige: Ich interessiere mich für dich, ich komme dir entgegen. So kann ich ein Plakat mit 'Guten Morgen' auf verschiedenen Sprachen aufhängen oder selbst ein paar Grundbegriffe in der Sprache der Kinder lernen, um ihnen den Einstieg zu vereinfachen. Zum Beispiel Worte für Essen oder für Alltagsrituale in der Kita."

Worauf sollten die pädagogische Fachkräfte beim Umgang der Kinder untereinander achten?

P. D.: "Die Kinder finden selbst Wege, sich auszutauschen, selbst wenn keine oder nur geringe Sprachkenntnisse vorhanden sind. Das lässt sich zum Beispiel im Urlaub oft bei Kindern beobachten. Eine gute Möglichkeit, die Kinder zusammenzubringen und das Vertrauen zu stärken, sind Spiele, genauso wie das gemeinsame Forschen und Entdecken. Das Miteinander fördert den Spracherwerb. Durch Kommentieren und Wiederholen lernen die Kinder die Sprache. Sie verknüpfen Worte mit Handlungen oder Gegenständen."

Und wie können die Pädagoginnen und Pädagogen selbst den Spracherwerb der Kinder fördern?

P. D.: "Im Prinzip nach demselben Muster. Sie kann das eigene Handeln sprachlich begleiten und darauf achten, ihre Handlungen zu kommentieren. Gerade bei ganz simplen Dingen wie beim Jacke anziehen: 'Und nun den Arm durch den Ärmel stecken.' Dadurch erhält das Kind ständig Input und kann die Worte mit Alltagssituationen verknüpfen."

Es gibt bereits viele positive Beispiele für gelingende Integration. Fällt Ihnen eines ein, das man leicht übernehmen kann?

P. D.: "Was mir gut gefällt, sind Patenschaften älterer Kinder für die neuen, jüngeren Kinder. Die älteren Kinder begleiten die Neuankömmlinge in ihrem Kita-Alltag und helfen ihnen die Einrichtung kennenzulernen. Das fördert das Miteinander und stärkt das Verantwortungsbewusstsein der älteren Kinder."

Die Arbeit mit den Kindern ist für viele Erzieherinnen und Erzieher ja nur ein Teil ihres Berufsalltags. Was gilt es im Dialog mit den Eltern zu beachten?

P. D.: "Die Eltern haben meistens hohe Erwartungen. Die pädagogische Fachkraft sollte klar machen, wie das System Kita in Deutschland funktioniert. Sie sollte die Abläufe ausführlicher erklären als bei Eltern, die das System bereits kennen. Wenn möglich sollte man die Eltern direkt einbeziehen und erklären, warum etwas notwendig ist, und insgesamt viel kommunizieren, sodass keine Missverständnisse aufkommen."

Zur Person

Paula Döge hat sich mit dem Vergleich der Erziehungsvorstellungen von Eltern und Fachkräften. Als Co-Autorin arbeitete sie an der Studie "Kulturelle Vielfalt bei Kindern in den ersten drei Lebensjahren" (2011) und war Referentin für Forschung und Qualitätsentwicklung in der Stiftung Kinder forschen. Heute ist sie Teil der Fakultät ür Bildungswissenschaften an der Freien Universität Bozen.