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Andere Länder, andere Gesten:
Nachdenken und Zuhören

Gesten und Handzeichen, die wir in Deutschland vollkommen selbstverständlich benutzen, sind Menschen aus anderen Ländern vielleicht unbekannt – oder sie bedeuten in ihrer Heimat etwas ganz anderes.

Ein Junge tippt sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe
Gesten können verschiedene Bedeutungen haben.

Vor einigen Wochen haben wir bereits eine Linksammlung zum Thema "Andere Länder, andere Gesten" veröffentlicht. Wir haben daraufhin noch ein wenig genauer nachgeforscht und uns gefragt, welche Gesten und Handzeichen für die Arbeit mit Kindern aus verschiedenen Ländern wichtig sein könnten. In unserer neuen Reihe "Andere Länder, andere Gesten" stellen wir sie Ihnen vor.

In der ersten Folge zeigen uns die Mädchen und Jungen aus der Willkommensklasse der Berliner "Grundschule am Mohnweg" zwei Handzeichen aus arabischsprachigen Ländern.

1. Der Zeigefinger klopft an die Schläfe: "Ich denke nach"

Wer sich in Deutschland mit dem Finger an die Stirn tippt, signalisiert seinem Gegenüber "Du hast wohl einen Vogel" oder einfach: "Du spinnst". Wenn ein Kind aus einem arabisch geprägten Kulturkreis diese Geste verwendet, möchte es Ihnen jedoch etwas anderes mitteilen und Sie auf keinen Fall beleidigen.

Wenn ein Arabisch sprechender Mensch mit dem Zeigefinger auf die eigene Schläfe zeigt, möchte sie oder er die Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Inhalt des Kopfes lenken. Der Kopf ist der Sitz des Denkvermögens, hier passiert gerade etwas – diese Geste bedeutet: "Ich denke nach".

Möchte ein Arabisch sprechender Mensch seinem Gegenüber mitteilen, dass er ihn oder sie für verrückt hält, zeigt er mit dem Finger auf die Stirn und dreht den Finger in einer Kurbelbewegung. Die Geste ist in diesem Fall eine Metapher für "durchdrehen" oder "sich im Kreis drehen" im Sinne von "verrückt sein".

Bei deutschen Sprecherinnen und Sprechern macht es keinen Unterschied, ob man sich an die Stirn tippt oder den Zeigefinder kreisen lässt – in beiden Fällen bedeutet man seinem Gegenüber, dass er oder sie verrückt ist. In arabischen Ländern sind die Gesten dagegen so unterschiedlich wie Tag und Nacht.

Was bedeutet es im Arabischen, wenn sich jemand mit dem Finger an die Schläfe klopft?

2. Mit dem Finger das eigene Ohr berühren: "Zuhören"

Diese Geste kann einfach bedeuten, dass man zuhören soll, da das Ohr mit "Hören" assoziiert wird. Es kann aber auch bedeuten, dass die Sprecherin oder der Sprecher "ganz Ohr ist", also selbst sehr aufmerksam zuhört.

Und wie sieht es aus wenn jemand signalisieren möchte, dass er zuhört?

Vorsicht!

Einige Handzeichen, die wir vollkommen selbstverständlich verwenden, haben in anderen Ländern eine ganz andere Bedeutung. Hier kann es zu unbeabsichtigten Missverständnissen kommen. Nachfolgend finden Sie zwei Beispiele:

Eine Hand mit erhobenen Daumen
"Daumen hoch"

Daumen hoch!

In Deutschland benutzen wir diese Geste als Ausdruck von Zustimmung oder um zu zeigen, dass wir etwas "Gut" oder "Toll" finden. Mit dieser Bedeutung benutzen Sie die Geste vielleicht auch, um Kinder zu loben.

Hier ist große Vorsicht geboten: In arabischsprachigen Ländern und Kulturen, aber auch in anderen Ländern,  stellt der erhobene Daumen ein Phallussymbol dar und ist eine schwere Beleidigung. In der Türkei gilt die Geste als Aufforderungssignal unter Homosexuellen.

Da diese Geste große Ähnlichkeit mit dem "Tramperdaumen" aufweist, winken Anhalter z.B. in kulturellen Kreisen, wo die beleidigende Daumengeste verbreitet ist, mit der flachen Hand.

Zeigefinger und kleiner Finger zeigen nach oben, um die Ohren eines Fuchses anzudeuten, Mittelfinger und Ringfinger werden gegen den Daumen gepresst, um das Maul eines Fuches zu imitieren.
"Leisefuchs"

Leisefuchs

Viele von Ihnen kennen den "Leisefuchs" aus dem Alltag in der Kita oder Grundschule : Steigt der Lärmpegel, streckt die pädagogische Fach- oder Lehrkraft Zeigefinger und kleinen Finger nach oben, um die Ohren eines Fuchses anzudeuten, und presst Mittelfinger und Ringfinger gegen den Daumen, um das Maul eines Fuchses zu imitieren. Der "Leisefuchs" spitzt seine Ohren und hält sein Maul geschlossen, die Kinder sollen es machen wie er: Aufmerksam zuhören und nicht mehr sprechen.

Diese markante Geste ist aber auch das Erkennungszeichen der umgangssprachlich als "Graue Wölfe" ("Bozkurtlar") bezeichneten Anhänger der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetçi Hareket Partisi): Daumen und Finger des rechten ausgestreckten Arms formen den Kopf eines Wolfes.

Als Feindbilder sehen die "Grauen Wölfe" – neben Juden, Christen, Armeniern, Griechen, Israel, der EU und den USA – vor allem Kurden. Die Grauen Wölfe verbreiten auf einschlägigen Internetseiten und bei Veranstaltungen nationalistisches und rassistisches Gedankengut, es kommt immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffen auf Andersdenkende. Für kurdische Mädchen und Jungen, aber auch für Kinder mit türkischen Wurzeln, kann der Einsatz des "Leisefuchs" in der Kitagruppe befremdlich, im schlimmsten Fall sogar verstörend wirken.

Quelle: Verfassungsschutzbericht 2015

Info

Wir danken den Mädchen und Jungen der Willkommensklasse der "Grundschule am Mohnweg" und Frau Dr. Silva Ladewig, Professurvertretung am Lehrstuhl für Sprachgebrauch und multimodale Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina, für die Unterstützung.